KURT KOTRSCHAL (Die Presse) Wegen der mörderischen Konkurrenz unter Veterinären werden viele Tierfreunde für dumm verkauft.
Hunde sind die engsten Tierkumpane des Menschen. Aus jenen Wölfen, mit denen unsere Vorfahren seit über 60.000 Jahren lebten, entstanden vor etwa 16.000 Jahre Hunde. Seitdem sind sie ständige Begleiter aller Menschen dieser Welt. Unter den vielen Rollen, die sie im Verlauf dieser gemeinsamen Geschichte spielten, dominiert heute jene als Sozialkumpan; etwa 700.000 Hunde leben mit nahezu zwei Millionen Österreichern. Die meisten dieser Hunde sind schlicht Freizeitkumpane und Familienmitglieder. Und in vollwertige Sozialpartner investieren Menschen auch materiell, so auch in ihre Hunde.
Dabei verdecken die spotterregenden Brillanthalsbänder und Haute-Couture-Hundemäntelchen den Blick auf jenen Bereich, in den sogar wenig begüterte Hundehalter immer mehr investieren: in die Hightechmedizin. Heute sind de facto alle Behandlungsverfahren, die primär für Menschen entwickelt wurden, von der komplexen Krebstherapie, Physiotherapie und Rehabilitation, den künstlichen Hüftgelenken, komplizierten Operationen etc., auch für Kumpantiere, insbesondere Hunde verfügbar. Schläferte man früher einen Hund bereits aus geringfügigen Gründen ein, so ist man heute geneigt, sich sogar zu verschulden, um die teure Behandlung für den teuren Gefährten zu finanzieren. Mit einer Reihe von Konsequenzen. Lebensdauer und -qualität unserer besten Gefährten verlängern und verbessern zu können ist toll – und vergrößert den Anreiz, eine Gesundheitsversicherung für das Tier abzuschließen. Dies vergrößert aber auch die Gefahr, die finale Entscheidung aus Sicht des Tieres vielleicht zu spät zu treffen. Des einen Leid, des anderen Geschäft. Auch die wunderbarsten Tierärzte leben vom Behandeln kranker Tiere. Bei der mörderischen Konkurrenz vor allem unter jungen Veterinären ist die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Behandlung daher nicht nur vom hippokratischen Eid geleitet.
Beispiel gefällig? Hierzulande gilt es gottlob als unethisch, Kumpantiere prophylaktisch zu kastrieren. Laut Tierschutzgesetz ist dazu eine medizinische Indikation erforderlich, die Bequemlichkeit des Hundebesitzers ist kein hinreichendes Argument. Im Interesse des eigenen Geschäfts ist so eine Indikation rasch gefunden; so reden uns Tierärzte ein, dass diese zumindest bei Hundeweibchen späteren Brustkrebs verhindern würde. Ohne Evidenz übrigens, keine einzige Meta-Studie belegt irgendeinen Zusammenhang. Die Veterinäre befinden sich damit übrigens in seltsamer Allianz mit einer ganzen Riege von Hundetrainerinnen, deren Kontrolldrang sich unter anderm darin manifestiert, dass sie vorzugsweise mit gesetzwidrig kastrierten Rüden unterwegs sind.
Das medizinische Argument pro Kastration hält nicht nur nicht, unser US-Kollege Ben Hart belegt gerade mittels eines umfangreichen Datensatzes, dass die Frühkastrationen für die betroffenen Hunde einen ganzen Rattenschwanz von gesundheitlichen Problemen nach sich ziehen: Sie sind häufiger übergewichtig, krank, inkontinent, haben öfters hormonale und Gelenkprobleme und sterben früher als ihre intakten Artgenossen. Alles klar? Was bleibt, wenn ethische und medizinische Argumente wegfallen?
Richtig, geschäftliche Interessen, beispielsweise eine gute veterinäre Beschäftigungslage, wenn diese Hunde älter werden. Davor sollte man Hunde als unsere engsten Sozialgefährten unter den Tieren eigentlich bewahren.
Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau.
E-Mails an: debatte@diepresse.com
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